Kurzgeschichte / 07 / Rohfassung / V R-1
Sidar Khudainis Hände zitterten, als er den Zettel auffaltete. Dieses zerschlissene Fetzchen Papier plötzlich zwischen seinen Fingern, unglaublich! Zwei Buchstaben, fünf Zahlen. Im Reflex griff er sich an den Kravattenknoten, um diesen zu lockern; aber da war keiner, er war ja noch im Bademantel. ZH 31257. Von ihm selbst vor siebzehn Jahren notiert. Wie ungelenk seine Handschrift gewesen war. Und wie demütigend ihn der Gendarm angepackt hatte. Die eine Hand in sein Haar gekrallt, die andere hinten am Hosenbund, um ihm den Stoff schmerzhaft in die Kerbe zu reissen. Kein Entkommen, es war aus. Ertappt beim Diebstahl. Seine Zukunft war jäh festgeschrieben: Polizeiwache, Identitätsklärung. Gesucht, Interpol-Liste. Messerstiche, Abschiebung nach Tunis. Urteil, fünfzehn, zwanzig Jahre? ZH 31257! Das war eine Stunde später gewesen. Nochmals war er zum Parkplatz geschlichen, obwohl es keinen Sinn ergab. Fast wäre er umgekehrt, als er den Gendarmen erblickte, der weiter vorn einen Strafzettel unter einen Wischer klemmte. Khudaini duckte sich. Doch! Der Deux Chevaux stand immer noch auf demselben Parkfeld. Ängstlich ging er näher und hatte plötzliche den Einfall, das Kennzeichen abzuschreiben. Wie lächerlich! Diesem Paar, dem die Ente gehörte, würde er nie mehr begegnen. Warum also? Vielleicht, weil er unbedingt etwas tun musste. Weil er nach einem Beweis, einer Markierung suchte? Ja, deshalb! Weil er eine Markierung für den bislang einzigen heiligen Augenblick seines Lebens brauchte: ZH 31257. Jedenfalls kein französisches Kennzeichen.
»Wenn ich sie ausfindig machen könnte, nein, ich muss sie ausfindig machen!« Anne-Sophie lachte: »Und wann, bitte, hat mon époux nicht erreicht, was er erreichen wollte?« Den Fetzen in der Hand war er ins Schlafzimmer zurückgekehrt und hatte sich aufs Bett gesetzt. Seine Frau schlief noch. Erst um zwei Uhr früh hatten sie sich von der Party beim CEO der Crédit Lyonnais absetzen können…