Essays

Essay.
Ich glaube nicht an Gott, aber ich vermisse ihn.

Vermisstenanzeige mit Vermutungen

Nach langen Jahren des Sparens hatte der schwarze Südafrikaner Tom gerade so viel Geld beisammen, dass es für den Kauf einer heruntergewirtschafteten Farm reichte. Er schuftete Tag und Nacht. Endlich warfen die Felder wieder Ertrag ab. Nicht mehr bloß drei, sondern vierzig Schaffe grasten auf den Weiden. Und auch das Farmhaus sah wieder wohnlich aus. Der Pfarrer der nahen Stadt fand es an der Zeit, diesen braven Mann zu besuchen. Stolz führte ihn Tom durchs Haus und über die Felder. Der Pfarrer war des Lobes voll: »Großartig, lieber Tom, was du mit Gottes Segen und Hilfe erreicht hast.« »Nichts gegen den Herrgott«, sagte Tom. »Aber Sie hätten die Farm sehen sollen, als er sie allein bewirtschaftete.«

Nachdem wir ein bisschen gelacht haben, wollen wir uns Toms Erkenntnis etwas näher anschauen. Er scheint nicht grundsätzlich an Gottes Existenz Gottes zu zweifeln. Gewisse Zweifel hat er aber an Gottes Tatkraft. Zupackend will ihm sein Gott nicht vorkommen. Nun, er beklagt sich nicht darüber. Er stellt es bloß nüchtern fest. Höchstens wäre da ein leiser Seufzer herauszuhören: Schade. Etwas konkrete Unterstützung hätte ich schon brauchen können. Ob er sich einen solch zupackenden Gott wünscht? Ob er einen Gott vermisst, auf dessen konkrete Hilfe Verlass wäre? Vielleicht. Wir wissen es nicht. Doch vermutlich würden die meisten von uns dem tüchtigen Tom zustimmen. Unsere Erfahrungen mit Gott sind seinen nicht unähnlich. Auch bei uns hält er sich normalerweise – vornehm oder nicht – mit praktischer Hilfe zurück. Handfestes Eingreifen scheint seine Sache nicht zu sein. Und seine letzten Auftritte datieren weit zurück. Zwei Tausend Jahre sind es her, dass er Paulus vor Damaskus ins Gewissen redete. Und vor rund vierzehnhundert Jahren diktierte er Mohammed die Suren. Dabei heißt es doch, er sei allmächtig. Und eine solche Eigenschaft müsste sich eigentlich erkennbar auswirken. Irgendwie, irgendwann und irgendwo. Doch wie, wo und wann denn? Oder meint diese Allmächtigkeit nur sein Potenzial? Er könnte, wenn er wollte?