Die Aussteiger

Auszüge aus dem ersten Roman von Andreas Sommer, Arbeitstitel „Die Aussteiger“.

Eine Veröffentlichung ist noch nicht vorgesehen, da der Autor an einer stark veränderten Fassung schreibt.
Hier Ausschnitte aus der ersten Rohfassung.

Vorspann

Geschichten geschehen; dann schweigen sie. Sie brauchen, um wirklich oder wahr zu werden, niemanden, der sie erzählt. Nie suchen sie jemanden, ihn zu bitten: erzähl‘ mich.

Also erzähle ich diese Geschichte hier heimlich. Sie weiss nichts davon. Erführe sie es, da bin ich mir sicher, würde sie sich verleugnen. Nicht, weil sie sich schämte, sondern, um mich zu strafen. Sie würde, um mich blosszustellen, behaupten: “Mich gibt es nicht, du hast mich er-funden.”

“Was habe ich?” –
“Erfunden hast Du mich!” – Ich höre ihre zornige Stimme.

Ich versuche, sie zu besänftigen. Bittend. Schmeichelnd, drohend. Aber sie lässt sich nicht erweichen, denn sie durchschaut mich. Jedenfalls vermute ich, dass sie das tut. Sie weiss, dass ich die Verantwortung für sie nicht allein übernehmen will – dass ich Angst davor habe. Und die Geschichte weiss, dass sie daran mittragen muss, wenn sie zugibt, dass sie geschehen ist.

Sie den einen Teil, ich, weil ich sie erzähle, den meinen.
Ihr Teil wäre der grössere. Meine Schuld wäre es bloss, dass ich sie erzählt habe.
Nicht ich müsste die Risse in der Moral verantworten, nicht ich müsste gerade stehen für die kriminellen Verzweigungen, büssen für die aufdringliche Sexualität.
Es wäre ihre Unmoral, ihre Verwirrung, ihre Gier…
“Warum denn erzählst Du mich?” – Es ist mir, als hörte ich ihre Frage. “Weil ich das andere an dir liebe. Deine Zärtlichkeit, deine Sanftheit, deine verspielten Gesten,” wäre meine Antwort.
“Nur das?” Ihre Stimme tönt spöttisch.
“Ja, nur das. Das andere verabscheue ich.”
Die Geschichte insistiert, ihr Blick wird herausfordernd: “Ahja, das andere verabscheust du?” – “Ja.” (Hoffentlich spürt sie nicht die Unruhe hinter meiner Forschheit.)
“Ja, sagst du? Du verabscheust meine dunkeln Windungen?” –
“Ja.” –
“Wirklich?” –
Ich schaue sie nicht an, als ich mich preisgebe: “Nein, natürlich nicht. Auch die liebe ich.”